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Überschrift 5

Geschichte

Vor über 750 Jahren wurde der Grundstein für den gotischen Neubau des Xantener Domes gelegt. Er gehört heute zu den bedeutendsten Bauwerken in unserem Land. Hier ist ein Raum von besonderer Spiritualität entstanden; hier finden Menschen in Gebet und liturgischen Feiern die Nähe zu Gott. Für viele von ihnen – früher wie heute – spielt dabei die Musik eine ganz wichtige Rolle. Im abendländischen (Kirchen-)Raum ist dies seit dem Aufkommen der Gotik in besonderem Maße die Musik der Orgel. „Mit ihr wird das Geheimnis Gottes, das diesen Raum erfüllt, unterstrichen. Außerdem kommen wir durch sie diesem Geheimnis näher“ (Weihbischof Rolf Lohmann)

 

Auch in Xanten sind bereits seit dem 14. Jahrhundert Orgeln nachweisbar, die während der folgenden Bauperioden an verschiedenen Stellen des Domes ihren Platz hatten. Bei Vollendung des Bauwerkes entschied man sich, an der nördlichen Seite des Mittelschiffs eine Schwalbennestorgel zu errichten.

 

Bereits im Jahr 1487 hatte eine Baumeisterkommission überlegt, wie der gotische Bau und die ältere staufische Westchorhalle (1180/90-1213) zu einer Einheit gestaltet werden konnten. Mit dem Ausbau des Mittelschiffs und der Schaffung des großen Westfensters (1507-1517) war dieser Plan durchgeführt worden. Nun machte man sich daran, das Gesamtbild des Domes abzurunden. Dazu gehörte in den folgenden Jahren nicht nur die Fertigstellung der Westtürme, sondern es wurden auch wichtige Nebengebäude errichtet: der Kapitelsaal (1531-1534), der Kreuzgang (1543-1546) und die Stiftsbibliothek (1547/48).

Der Eindruck des vollendeten Domes bewegte damals offenbar zahlreiche Stifter, einen eigenen Beitrag zu leisten. So ermöglichte der Kanoniker Gerhard Berendonk fünf Kreuzwegstationen, die in den Jahren 1525-1536 ausgeführt wurden. Und bereits 1518 hatte Johann von Arnheim die beträchtliche Summe von 100 Goldgulden für den Bau einer neuen Orgel gestiftet. „Diese … wurde in den Jahren 1536-1539 von einem … bekannten Orgelbauer der brabantisch-rheinländischen Schule gebaut – von ‚Arnoldus Prynus‘ (von Prüm). Ihr Standort war auf der Nordseite des Mittelschiffes in Höhe der gerade fertig gewordenen Galerie. Dieser auch anderenorts gebräuchliche Platz für eine Orgel war in Xanten besonders günstig, weil von dort aus sowohl der Kanonikerchor (Hochchor) als auch die Volkskirche ‚beschallt‘ werden konnte.“ (Winfried Erkens)

 

Zeitlich nahezu im Anschluss an die Vollendung des Hochaltars (1534) schuf mit Wilhelm von Roermond derselbe Meister, der für den Altarschrein verantwortlich ist, auch das Gehäuse der neuen Orgel.

 

Noch heute sieht man an der Nordseite des Mittelschiffes eine leere Stelle in den Obergaden. Was manchmal irrtümlich für ein vermauertes Fenster gehalten wird, ist die Öffnung zu einem großen Raum über dem Joch des Seitenschiffes, auf der Höhe der Heilig-Geist-Kapelle (1535-1544, heute Sakramentskapelle).

 

Die Baugeschichte zeigt, dass die Schwalbennestorgel nicht als nachträglicher Fremdkörper in den Dom gekommen ist, sondern bei dessen endgültiger Fertigstellung am Anfang des 16. Jahrhunderts architektonisch und stilistisch als wesentliches Element eingeplant wurde. Mehr als 300 Jahre lang diente nun diese Orgel der Kirchenmusik im Xantener Dom – mit diversen Umbauten und Reparaturen. Finanzieller Niedergang und Auflösung des Stiftes am Beginn des 19. Jahrhunderts wirkten sich auf den Zustand des Instrumentes natürlich nicht positiv aus.  Erst nach der Restaurierung des Domes durch Carl Cuno (1857-68) wurde im Jahr 1871 auch eine neue Orgel an derselben Stelle errichtet. Sie fiel der Zerstörung des Domes im 2. Weltkrieg zum Opfer. Mit enormer Kraftanstrengung konnte der Dom in der Nachkriegszeit wiederaufgebaut werden. Der Platz der Schwalbennestorgel ist allerdings bis heute leer geblieben.

 

Verschiedene Gründe führten dazu, dass eine neue Orgel in der Westchorhalle errichtet wurde. Dabei mussten aufgrund der Umstände viele Kompromisse geschlossen werden. Auch damals war man sich schon bewusst, dass die Konstruktion an dieser Stelle in mancherlei Hinsicht problematisch sein würde. Ein Instrument in der notwendigen Größe musste zum einen die architektonische Wirkung der Westchorhalle beeinträchtigen. Zum anderen wurde das große Westfenster, das der bedeutende Glasmaler Anton Wendling (1891-1965) im Jahr 1962 geschaffen hat, teilweise verdeckt – ein Umstand, der immer wieder zahlreichen Besuchern des Domes schmerzlich auffällt. Wegen dieser Vorbehalte wurde aber auch die neue Orgel nicht so, wie sie im Verhältnis zur Größe des Raumes hätte ausfallen müssen, sondern viel zu schmal und auf engstem Raum gebaut. Dazu kommen weitere Mängel, die heute immer stärker zutage treten. Unter der eingeschränkten Qualität der damals verwendeten Materialien leidet nicht nur das Klangbild.

 

Nach aktuellen Gutachten zeichnen sich in der nächsten Zukunft erhebliche Kosten für Reparaturen und Renovierung ab. Statt weiterer Investitionen in die Erhaltung eines Instrumentes, das auch baulich und klanglich nicht voll überzeugt, bietet sich die Chance, eine neue Hauptorgel zu konzipieren und ihr den angestammten Platz wiederzugeben. Damit wird auch die Westchorhalle frei; sie wäre nicht nur mit ihrem Fenster für Besucher des Domes wieder uneingeschränkt erlebbar, sondern böte auch gottesdienstlich neue Nutzungsmöglichkeiten. Eine kleinere Chororgel zur Begleitung des Chorgesanges könnte dann als kleineres Gegenstück zur großen Schwalbennestorgel in die Architektur des Hochchores integriert werden, ein Gedanke, der schon in der Phase des Wiederaufbaus ins Spiel gebracht wurde.

 

Heute ist wie damals an der vorgesehenen Stelle ausreichend Raum für eine Schwalbennestorgel, an der die Orgelliteratur der wesentlichen Epochen interpretiert werden kann. Dass die Statik des Gebäudes nach dem Wiederaufbau eine solche Orgel nicht mehr tragen könne – ein Gedanke, der zeitweilig eine Rolle spielte – wird von den Fachleuten heute als unbegründete Befürchtung beurteilt.

 

Der alte Standort ist gerade unter akustischen Aspekten ideal. Nicht ohne Grund ist es der ursprüngliche Platz der Orgel. Von hier aus kann sich der Klang im ganzen Raum hervorragend entfalten. Dabei würde eine Orgel mittlerer Größe ausreichen. Es ist geplant, ein Instrument zu ermöglichen, das aufgrund seiner Konzeption den Ansprüchen des Domes gerecht wird und – wie der Dom selbst – die Menschen weit über den Niederrhein hinaus anzieht. Dabei ist nicht an eine historische Rekonstruktion der Renaissanceorgel oder des letzten neugotischen Instrumentes gedacht, sondern an ein Werk, das in seiner Weise den Erfordernissen der heutigen Zeit entspricht.

 

In den letzten Jahren ist Xanten und seinen Gästen mit der Neueröffnung des Stiftsmuseums (2010) und der Restaurierung des Kapitelsaales (2015) beeindruckend vor Augen geführt worden, dass die Wiederherstellung des Domes und seiner einzigartigen Umgebung in eine neue Phase eingetreten ist. So konnte schließlich 2017 auch die fünfte Station des Berendonk’schen Kreuzweges wieder aufgerichtet werden. Mit dem verstorbenen Prof. Dieter Spethmann hatte sich hier ein entscheidender Spender gefunden. Ebenso steht bei dem Projekt „Schwalbennestorgel“ zu hoffen, dass sich maßgebliche Personen und Institutionen in die Finanzierung einbringen. Das Projekt hat ein Volumen, das die finanziellen Möglichkeiten der Propsteigemeinde zusätzlich zum normalen Haushalt deutlich übersteigt. Von unserem Bistum Münster sind in diesem Bereich keine substanziellen Fördermittel vorgesehen. Also sind wir auf die Solidarität und Spendenbereitschaft möglichst vieler angewiesen.

 

Ermutigend ist, dass diese Solidarität sich bereits an vielen Stellen gezeigt hat: Bei seiner Gründung wurde der Orgelbauverein vom Kirchenvorstand der Propsteigemeinde und dem damaligen Propst Klaus Wittke nachdrücklich unterstützt. Ebenso tun es sein Nachfolger Propst Stefan Notz und der Regionalbischof für den Niederrhein Rolf Lohmann, der deshalb bereitwillig die Schirmherrschaft übernommen hat. Auch der Vorstand des Dombauvereins und die Dombauhütte tragen unsere Bemühungen mit.

Die Orgel im St. Viktor Dom

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