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  • AutorenbildOrgelbauverein Xanten

„Als hätten Sie Plastiktürgriffe in einem Schloss“

Hansjörg Albrecht über Orgel im Xantener Dom

Für das Konzert waren im Dom Kerzen angezündet worden. Sergei Nakariakov spielte in Albrechts Sichtweite neben der Orgel. Foto: Ostermann, Olaf (oo)


Xanten · Der Organist Hansjörg Albrecht gab mit Sergei Nakariakov ein wunderbares Konzert in Xanten. Im Gespräch erklärt er, welche Schwierigkeiten dabei die alte Orgel im Dom bereitete und welche Vorteile eine Schwalbennestorgel bieten würde. Der Erlös aus dem Konzert soll bei der Finanzierung helfen.


Zwei Klassik-Stars haben am Samstag das Xantener Orgelbau-Projekt unterstützt: Hansjörg Albrecht aus München und Sergei Nakariakov aus Paris gaben im Dom ein Benefizkonzert. Der Erlös soll dabei helfen, eine neue Schwalbennestorgel zu finanzieren. Ein Verein sammelt dafür seit Jahren Geld. Es geht um einen mindestens sechsstelligen Betrag. Das Geld wäre gut angelegt, davon würden Generationen profitieren, und der Dom hätte endlich wieder ein adäquates Instrument, sagt Hansjörg Albrecht.

Herr Albrecht, Sie haben schon an vielen Orgeln gespielt. Welchen Eindruck haben Sie von der Orgel im Xantener Dom?


HANSJÖRG ALBRECHT Man muss eine ganze Menge Zeit investieren, um aus dem Instrument noch möglichst viel herauszuholen. Es ist natürlich nicht so, dass aus der Orgel kein Klang mehr kommt, wenn man die Register zieht. Aber das Instrument ist in einem wirklich schlechten technischen und klanglichen Zustand. Es ist so, als wenn man ein altes Auto immer wieder repariert, man kommt trotzdem an die Qualität höchster handwerklicher und klanglicher Kunst einfach nicht heran. Für das Konzert haben Sergei Nakariakov und ich deshalb sehr viel Zeit während unserer nächtlichen Probe investiert, um zu schauen, was am besten klingt und wie man das Instrument noch am besten präsentieren kann, damit das Konzert für die Zuhörer – soweit wie möglich – trotzdem ein Klangerlebnis wird.


Welchen Vorteil hätte ein neues Instrument, eine Schwalbennestorgel, die auch wieder in der Mitte des Domes hängen soll?

ALBRECHT Im Dom gab es ja schon bis zur Zerstörung im Zweiten Weltkrieg eine Schwalbennestorgel. Rein physikalisch gesehen, ist es so: Wenn Sie in einer langgestreckten Halle an einem der Enden stehen, müssen Sie sehr viel Kraft aufwenden und sehr laut rufen, damit Sie am anderen Ende dieser Halle nicht nur gehört werden, sondern Ihre Sprache deutlich vernommen werden kann. Wenn Sie aber in der Mitte dieser Halle stehen und vielleicht sogar oben auf einem Balkon, dann füllen Sie den Raum mit viel weniger Kraftaufwand, und zwar den gesamten Raum. In den großen Domen, ob in Köln oder Straßburg, in Bamberg oder Worms und vielen anderen der großen mittelalterlichen Kathedralen hängen Schwalbennestorgeln. Das ist keine Erfindung der heutigen Zeit, das ist eine Erfindung aus dem Mittelalter. Sie können dadurch einfach mit weniger klanglichem Aufwand so riesige Räume füllen. Auch die Kanzeln vieler mittelalterlicher Kirchen, von denen – ohne Mikrofon – mit lauter Stimme herab gepredigt wurde, standen in der Mitte des Raumes. So funktioniert Klang. Und eine neue Schwalbennestorgel würde spielend den Xantener Dom mit sprechendem und gravitätischem Klang füllen, dafür bräuchte sie gar keine 80 oder 100 Register.


Es reicht nicht, die alte Orgel zu reparieren?

ALBRECHT Egal, wohin man kommt, in der Vergangenheit ist oft der Fehler gemacht worden – in bester Absicht natürlich – dass man glaubte, mit einer Reparatur Geld zu sparen. Aber egal, ob es Brücken, Straßen oder Häuser sind, mit einem wohl abgewogenen Neubau, bei dem man verantwortungsbewusst mit dem Geld umgeht, bekommt man kein Flickwerk, sondern etwas überzeugend Neues – ansonsten würde man in fünf Jahren wieder damit anfangen, an dem Alten herumzubasteln. Daher mein fachlicher Rat (von außen), nach einem adäquaten Instrument für diesen unglaublichen Klang-Raum zu suchen und dieses Instrument auch visionär zu verwirklichen.

Eine neue Schwalbennestorgel würde allerdings viel Geld kosten.

ALBRECHT Durch Corona und in der Pandemie ist es natürlich klarer denn je, dass die Frage des Geldes gestellt wird. Unglaublich lang hat man an einem solchen Dom gebaut, und die Errichtung dieser Dome hat Unsummen an Energie und Geld gekostet und Kriege und Hungersnöte waren an der Tagesordnung – man hatte damals eine Vision. Das Geld für die neue Schwalbennestorgel wäre doppelt und dreifach gut angelegt, weil es keine kurzzeitige Sache wäre. Heute spricht man gern von Nachhaltigkeit. Eine neue Schwalbennestorgel im Xantener Dom wäre ein Unikat, welches viele Generation von Menschen erfreuen würde. Es wäre klangliche und handwerkliche Kunst vom Feinsten, adäquat zur Architektur und den Altären und Kunstschätzen des Doms. Nicht zuletzt wäre es ein neues, leuchtendes Symbol für die Innovation der Stadt Xanten und ihrer Einwohner.


Würde auch der Laie den Unterschied zwischen alter und neuer Orgel hören?

ALBRECHT Auf jeden Fall. Wenn man zum Beispiel ein Register der aktuellen Orgel nehmen würde und würde es mit einem gleichartigen Register von Gottfried Silbermann, Arp Schnitger oder Aristide Cavaillé-Coll (das sind die großen Orgelbauernamen aus den vergangenen Jahrhunderten) klanglich vergleichen – den Unterschied würde jeder hören. Es ist natürlich ein Wunder, dass man nach dem Zweiten Weltkrieg überhaupt eine Orgel im Dom wieder errichten konnte, allerdings mit den Materialien und den vielen Kompromissen der damaligen Zeit. Ich komme selbst aus der ehemaligen DDR, man hat dort ähnlich gebaut, das würde man aber heute so nicht mehr tun. Heute gibt es glücklicherweise ein neues Bewusstsein für die alten Handwerkstechniken des Orgelbaus vor allem der Barockzeit und für die Errungenschaften des symphonischen Orgelbaus des 19. Jahrhunderts. Es geht übrigens auch darum, dass die einzelnen Stimmen der Orgel viel besser klingen können, jedoch braucht man dafür mehr Platz, die Pfeifen stehen in der heutigen Nachkriegsorgel einfach viel zu eng und können sich klanglich nicht entfalten und „sprechend“ im Raum klingen. Hier geht es um den Resonanzraum, das haben Sie auch bei Lautsprecherboxen von Stereoanlagen. Je mehr Resonanzraum da ist, umso besser kann es klingen. Das wird jeder hören.


Wie haben Sie den Dom als Konzertraum erlebt?

ALBRECHT Domkantor Matthias Zangerle hat mir vorher die Orgel vorgeführt, damit ich einen Raum-Eindruck bekomme. Der Dom ist fantastisch, gerade für Orgelmusik, das ist natürlich das Phänomen dieser gotischen, langen Kathedralen, dieser „Kathedral-Schläuche“, die nach französischem Vorbild gebaut wurden. Das sehen Sie im ganzen westdeutschen Raum, dort sind viele Kathedralen nach französischem Vorbild gebaut worden, und gerade diese langen Kathedralen sind für Orgelmusik phänomenal gut geeignet. Im Xantener Dom ist es aktuell so, dass die alte Orgel akustisch nicht nur am akustisch komplett falschen Ort steht, sondern zudem das große Fenster und den Haupteingang verdeckt und damit auch die liturgische Funktion des Domes, wie sie im Mittelalter reiflich geplant und ausgeführt wurde, außer Kraft setzt. Die gerade für Orgelmusik vorhandenen akustischen Qualitäten des Xantener Doms würde man noch viel besser wahrnehmen, wenn wieder eine Schwalbennestorgel im Dom hinge. Es ist im Moment in etwa so, als hätten Sie Plastiktürgriffe in einem alten Schloss an den Türen angebracht. Sie funktionieren zwar und sie können damit Türen öffnen, aber jeder Mensch würde merken, dass dieser neuzeitliche Kompromiss nur eine Notlösung sein kann und niemals die alten schmiedeeisernen Griffe ersetzen kann. Die Dombaumeister haben sich bei der Erbauung des Xantener Doms so viel Mühe gegeben mit der Architektur, auch die Altäre sind allerhöchste Kunst. Die alte Nachkriegsorgel, die es dringend und in künstlerisch-handwerklich vollendeter Form zu ersetzen gilt, ist es leider nicht.


Info

Publikum dankte mit stehenden Ovationen

Musiker Hansjörg Albrecht ist Künstlerischer Leiter des Münchener Bach-Chores und des Bach-Orchesters. Der israelisch-russische Trompeter Sergei Nakariakov wird der „Paganini der Trompete“ und der „Caruso der Trompete“ genannt. Beide arbeiten mit weltweit renommierten Orchestern, Dirigenten und Musikern zusammen. Sie traten bereits in Musikzentren wie London, Paris, Moskau, Tokio und New York auf.

Konzert Hansjörg Albrecht und Sergei Nakariakov spielten am Samstagabend im Dom mehrere Werke von Johann Sebastian Bach, Uri Brener, Georg Friedrich Händel und Antonio Vivaldi. Es war ein wunderbares Konzert, das erst nach fast zwei Stunden und zwei Zugaben endete. Das Publikum dankte den Musikern mit stehenden Ovationen.


Von Markus Werning, Verantwortlicher Redakteur Xanten/Rheinberg.


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